… im April 2013

Dieser Winter will lange nicht weichen. Nach einem so wunderschönen Frühlingstag gestern fällt nun heute wieder ein bisschen Schnee. Vielleicht ist es ein Zeichen für uns, in diesem Jahr nicht so schnell aufzubrechen, nach außen zu gehen, sondern uns Zeit zu lassen und diese zu nutzen, um immer mal wieder inne zu halten, nach innen zu schauen.

So habe ich auch die vergangene Woche im Schweigen, Singen und Beten auf der Isle of Wight verbracht. Es war eine tiefe und wertvolle Erfahrung, mich einmal so tief wie nie zuvor auf mich selbst einzulassen.

Als ich wiederkam begegnete mir  in einem Text über Ostern von Veit Lindau die folgenden Sätze über unseren Umgang mit unseren ungeliebten Gefühlen: „ Diese Erfahrungen sind die unwillkommenen Gäste auf jeder Wir-sind-immer-gut-drauf-Party. Wir verdrängen sie mit Arbeit, positiven Affirmationen und Geschwätz. Wir bekämpfen sie mit Konzepten und Pillen. Wir wollen sie nicht fühlen – und genau diese Nichtbereitschaft, alles zu fühlen, macht uns schwach und manipulierbar.“

Diese Sätze drücken das aus, was ich während der vergangen Tage zutiefst erlebt und erfahren habe und es kam das Bedürfnis, meine Erfahrungen aufzuschreiben und zu teilen. Es wuchs in mir die Gewissheit, dass, wenn wir wirklich frei sein wollen, müssen wir unsere wahren Gefühle, auch die ungeliebten, ans Licht holen und uns ihnen stellen. Kein Guru, kein Fußball-, Fernseh- oder Popstar, keine Schokolade und kein Alkohol und auch kein/e Geliebte/r kann uns dauerhaft vor unseren eigenen Gefühlen bewahren. Sie mögen für eine Weile verschwinden, doch zeigen sie sich uns danach umso heftiger.

Wie oft lassen wir uns ablenken, um dann unsere Gefühle auf andere zu projizieren, sei es der unfähige Politiker, die Hartherzigkeit und Brutalität der Menschen im Krieg, die Strahlkraft des Popstars, die weitherzige Liebe des Gurus oder Lehrers. Wenn wir anfangen, uns uns selbst zuzuwenden, unsere eigene Unfähigkeit, unsere eigene Hartherzigkeit und Brutalität, unsere eigene Strahlkraft und Größe zuzulassen und anzunehmen, ändert sich etwas in dieser Welt. Wir können sanfter mit uns sein, hören auf, uns selbst zu bekämpfen, können endlich ankommen bei uns selbst.

Ich selbst bin während des Schweigens zunächst sehr meinem tiefen Gefühl, meiner Angst  von „Nicht-richtig-sein“ und „Nicht-erwünscht-sein“ begegnet. Wie ein tiefes Loch machte es sich vor mir auf und zeigte mir, wie oft ich im Feedback, in der Erlaubnis und in der Rückmeldung anderer Menschen mir die Bestätigung suche richtig und erwünscht zu sein. Ich wusste, dass dieses Thema sehr mit meiner nichtgeborenen älteren Schwester zusammenhing und meinem Gefühl, ihr den Platz genommen zu haben. Doch allein dieses Wissen darum hatte mich bislang nicht weitergebracht, ebenso wenig wie innere Vorwürfe an meine Eltern, sie hätten mir vielleicht zu selten gesagt, wie wichtig ich ihnen bin. Erst als ich mich in der vergangenen Woche dieser Angst unerwünscht und falsch zu sein wirklich hingab, sie nicht mehr bekämpfte, erschien plötzlich vor meinem inneren Auge diese Schwester. Sie war sehr vehement und erzählte mir, ich solle aufhören, so einen Quatsch zu denken. Ich habe ihr keineswegs den Platz weggenommen. Sie habe es genauso gewollt und mir den Weg auf diese Erde freigemacht und wünsche sich nichts mehr als das ich diesen Platz nun auch endlich einnehme.

Ein weiteres Gefühl, dass mir sehr begegnete war meine Scham. Ich spürte, wie oft ich mich schäme für alles Mögliche: Ich schäme mich, wenn ich mich bedürftig fühle, weich oder hartherzig, ich schäme mich, wenn ich leise bin und wenn ich laut bin,… weil ich in meinem eigenen Inneren alles be- und verurteile, was ich tue und bin. Als Kind wurde ich häufig ausgelacht, weil ich rot wurde, bis ich meine Scham so tief im Keller vergraben und mich von ihr abgeschnitten hatte, dass ich sie nicht mehr fühlte. Dies schützte mich davor, weiterhin von anderen ausgelacht zu werden. Doch ich konnte den Menschen auch nicht mehr so frei wie vorher in die Augen schauen, denn das Auslachen und Verurteilen fand in meinem Inneren weiterhin statt.

In der Hingabe an unsere Gefühle öffnen sich neue Wege, die unser Verstand noch gar nicht kennt. Denn unser Verstand zieht seine Erfahrungen lediglich aus der Vergangenheit. Es gibt viele verschiedene Wege, den eigenen Gefühlen zu begegnen. Mein Weg ist das Singen und Tönen und die Begegnungen mit der Natur. Die Erde hilft mir, mich einzulassen und hinzugeben. Wer sich schon einmal bewusst auf die Erde oder in einen Baum gelegt hat, kennt vielleicht dieses Gefühl bedingungslos gehalten, getragen und geliebt zu werden. Im Singen und Tönen kann ich lernen, mich meinen Gefühlen anzunähern und mich ihnen liebevoll zuzuwenden, wie einem Kind. So lernen wir, mitfühlend mit uns selbst zu werden und uns die Anerkennung zu schenken, die wir so dringend brauchen.

Und dies kann uns helfen, zu lernen, wie das geht, dem Leben aus uns selbst heraus zu antworten (das englische Wort für Verantwortung „responsibility“ bedeutet, die Fähigkeit, dem Leben zu antworten). Nur wir selbst sind verantwortlich für unser eigenes Leben. Vor niemandem müssen wir Rechenschaft ablegen für das, was wir tun, außer vor uns selbst. Was also hält uns ab, Schöpfer/innen unseres eigenen Lebens zu sein und unsere Träume zu leben?

Wir sind die, auf die wir gewartet haben.

Ich wünsche Euch allen eine heilsame, kraftvolle und reiche Frühlingszeit und Vertrauen und Liebe auf Eurem Weg!

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